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ihrem kümmerlichen Leben zu entfliehen, und die sie jetzt nicht
schnell genug loswerden konnte. Wenige schlichte Möbel und Un-
mengen von Büchern, die sie aus Chantelles Reichweite geschafft
hatte, da sie ihren Spott fürchtete. Jedes von ihnen entweder eine
Flucht in eine Fantasiewelt, ein Abenteuer oder eine Erweiterung
ihres Bildungshorizonts.
Und wohin hat dich deine heimliche Lese- und Lernsucht geb-
racht? verspottete sie sich selbst. Jetzt endest du genau wie deine
Mutter als nutzloses Anhängsel eines Mannes, der für dich bezahlt!
Kein Test, aber genügend Zeit zum Reflektieren und Nachden-
ken , lenkte Rafe ihre Aufmerksamkeit auf das Telefongespräch
zurück. Du solltest sie nutzen.
Reflektieren und nachdenken, ja? Angel lachte spöttisch.
Wenn du mich besser kennenlernst, wirst du feststellen, dass ich
wie ein offenes Buch bin, geschrieben in kurzen, leicht zu lesenden
Sätzen.
Aber ich nicht.
Wäre er jemand anders gewesen, hätte das als humorvolle Ent-
gegnung durchgehen können. So hörte es sich wie eine Warnung
an. In der entstehenden Pause versuchte Angel sich vorzustellen,
wo er gerade war. Wie mochte der Raum aussehen, in dem er stand
oder saß und ein bizarres Telefonat mit einer Frau führte, die er
kaum kannte? Ob er den spontanen Antrag inzwischen bereute?
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Möglicherweise wirst du deine Entscheidung ein Leben lang
bereuen, Angel , sprach Rafe aus, was sie ihm gerade unterstellt
hatte.
Schnell gefreit, bitter bereut etcetera pp. , gab sie flapsig zurück.
Aber wenn es dich beruhigt, verspreche ich, sehr gründlich und
ausgiebig darüber nachzudenken, wie ich mir mein Leben mit
deinem Geld verschönern kann.
Tu das , erwiderte er in seiner ernsten, unbeeindruckten Art.
Ich werde dich am Montagmorgen abholen lassen. Dann können
wir alle Einzelheiten des Arrangements zusammen mit meinen An-
wälten erörtern.
Und wenn ich vorher mit dir sprechen will? Beim Gedanken, er
könnte jeden Moment einfach auflegen, fühlte sie Panik in sich auf-
steigen. Heute war Dienstag, und die Zeit bis zum nächsten Montag
erschien ihr unendlich lang.
Offenbar hast Du eine bemerkenswerte Routine darin, endlos
lange Sprachmails ohne zu stocken auf Band zu sprechen , erin-
nerte Rafe sie mit seidenweicher Stimme. Ich denke, du wirst
keine Schwierigkeiten haben, mir noch weitere zu hinterlassen,
sollte es unbedingt nötig sein.
Noch lange, nachdem er aufgelegt hatte, stand Angel wie ein
gescholtenes Kind vorm Fenster ihres winzigen Apartments und
starrte benommen auf die schmutzige Straße. Ihr Herzschlag war
hart und viel zu schnell. Hatte sie es mit ihrem Traum vom
rettenden Märchenprinzen übertrieben, indem sie versuchte, ihn in
die Tat umzusetzen? Entschlossen, dreist und absolut schamlos?
War es vielleicht eine Art Überreaktion auf die Nachricht gewesen,
dass ihre Stiefschwester überraschend zur leibhaftigen Cinderella
geworden war und mit ihrem Prinz Charming zukünftig in einem
zauberhaften Inselkönigreich leben würde?
Zu Allegra mochte diese geschönte Disney-Version passen, aber
zu ihr? Dann schon eher eines der gefährlicheren, düsteren
Märchen der Gebrüder Grimm, dachte Angel voll bitterer
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Selbstironie. Und als der hässlichen Stiefschwester würde ihr der
Schuh natürlich auch nicht passen, sondern höchstens voller Blut
sein.
Was, zur Hölle, habe ich mir eigentlich dabei gedacht?
Obwohl es spät in der Nacht war, hatte Rafe noch kein Auge zuget-
an, sondern stand mit düsterer Miene vor seinem riesigen Bett und
starrte auf die Fotos, die dort ausgebreitet lagen. Die Bilder zeigten
ausnahmslos Angel Tilson während ihrer sporadischen Karriere als
Model. In Hochglanz, in brillanten Farben oder künstlerischem
Schwarz-Weiß, einige stilvoll und zurückhaltend, andere mit
herausfordernd geschürztem Mund, geheimnisvollem Blick und
lockenden Kurven.
Die Fotostrecke hatte Alistair zusammengestellt, und beim Über-
reichen des Ordners hatte er maliziös Ihre zukünftige Countess
gemurmelt.
Es hätte ihm nicht gefallen dürfen, Angels zukünftigen Titel zu
hören, zumal Alistair ihn eher missbilligend ausgesprochen hatte.
Und er dürfte nicht dieses wilde Verlangen beim Betrachten der
Bilder empfinden, doch verhindern konnte er es auch nicht. Sie war
so unglaublich schön und reizvoll. Aber was besagte das schon?
Wusste er nicht besser als jeder andere, dass äußere Schönheit
nicht zählte? Viel zu früh in seinem Leben hatte er es lernen
müssen.
Seine Narben waren nur ein Beispiel für diese grausame
Wahrheit, doch sie verblassten wenigstens mit der Zeit was die
inneren Verletzungen und Abgründe nicht taten. Daran erinnerten
ihn die Geister der Vergangenheit unaufhörlich seine Armeekam-
eraden, seine gesamte Familie. Keinen von ihnen würde er je ver-
gessen. Er trug sie als abgrundtiefe schwarze Löcher an der Stelle,
wo sein Herz hätte sitzen müssen. Reue und lastende Schuldgefühle
waren Rafes ständige Begleiter, die ihn nicht an ein normales Leben
glauben ließen.
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Er wandte sich ab, trat ans Fenster und starrte auf das nächtliche
London, eine Stadt, die er zutiefst verabscheute, von der er heute
allerdings nichts mitbekam, weil sich immer wieder Angels Gesicht
davorschob. Ihr rasch aufblitzendes, sorgloses Lächeln, der scharfe,
herausfordernde Blick, der elektrische Funke, der übersprang,
sobald er ihre weiche Haut berührte & ihr anbetungswürdiger
Mund.
Natürlich hätte er es besser wissen müssen, als sich auf diesen
unmöglichen Deal einzulassen. Und besäße er auch nur einen
Funken Anstand, hätte er die Farce spätestens beendet, nachdem er
zurück in London und in der Realität angekommen war. Wie kon-
nte er nur jemanden an sich ketten wollen, der nichts von ihm und
seinen Dämonen wusste? Angel war geblendet von seinem Geld
und sah in ihm eine Art Retter, doch das war nur der kleinste Teil
von dem, was sie sich einhandelte, wenn sie sich auf ihn einließ.
Ganz sicher hatte sie etwas Besseres verdient, und trotzdem brachte
er es nicht über sich, sie abzuweisen.
Andererseits & musste er sich über eine Frau mit derart niedrig-
en Erwartungen an das Glück zu zweit überhaupt so viele Gedanken
machen? Ihre Ehe wäre ein nüchternes, geschäftliches Arrange-
ment, von dem beide Seiten profitierten. Nur eines durfte er nie zu-
lassen: dass Gefühle ins Spiel kamen! Das würde er ihr von Anfang
an klarmachen. Wichtig waren Pflichtgefühl, Verantwortung und
strenge Regeln. Diese Mischung könnte das Monster in ihm im
Zaum halten. Er gab keine Versprechen, und sie versuchte zum
Glück gar nicht erst, ihm Liebe vorzugaukeln. So würden sie beide
exakt das bekommen, was sie erwarteten.
Es war Freitag, und es geschah völlig unerwartet, dass Angel in
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